Horrorszenarien, Lust wegzurennnen und „Was soll ich jetzt sagen?“
wechseln sich im Sekundentakt im Kopf nach der Frage: „Woher kommst du?“ ab?
Kommt Dir bekannt vor?
Diese Frage ist wohl die nervenaufreibendste Frage bei Leuten mit mehrkulturellem Background.
So eine „einfach gestellte“ Frage kann starke Emotionen hervorrufen.
Ich spreche eigentlich nur von Menschen, die mit verschiedenen Kulturen aufgewachsen sind.
Bei anderen sind die Reaktionen etwas anders.
Ich habe so oft über diese Frage debattiert.
Mit der Familie, mit Freuden, mit Leuten aus verschiedenen Kulturen,
mit Menschen, die ich nicht kannte:
Zufällige Bekanntschaften im Fahrstuhl, im Park, beim Einkaufen.
Einige verstehen sehr gut, dass diese Frage einen nie gleichgültig lässt,
andere verstehe es überhaupt nicht,
(weil sie wahrscheinlich nie negative Erfahrungen damit gemacht haben).
Für uns, „Transkultis“, kann diese Frage Stress bedeuten.
Denn wir wissen nicht so genau, welche Absicht hinter dieser Frage steckt.
Was wird die Person mit der Antwort machen?
Wird die Reaktion positiv oder negativ?
Und das ist das Entscheidende:
Warum stellen Menschen diese Frage?
Manchmal ist es eine Einstiegsfrage in ein Gespräch.
Manchmal ist es eine Frage, um zu erfahren, ob gemeinsame Interessen und Erfahrungen vorliegen.
Manchmal ist es eine Sicherheit, die der Fragende braucht, um zu wissen, wie er kommunizieren soll.
Manchmal, weil man einfach „anders als die gängige Masse“ aussieht und dies Neugier hervorruft.
Und es sind oft die letzten beiden Punkte, die kontroverse Gefühle bei einem hervorrufen.
Denn wenn man zum Beispiel dunkle Haut hat und schwäbelt,
dann braucht einem diese Frage überhaupt nicht gestellt zu werden, denn man hört die Antwort schon am Akzent.
Die Absichten der „Woher kommst du?-Frage“ sind höchstwahrscheinlich nicht böse gemeint,
und lassen sich auf das Bild zurückführen, was in einer Gesellschaft vermittelt wird,
wie man auszusehen hat, welche Werte man haben sollte, um dazuzugehören.
Es basiert oft auf das Abstammungsprinzip und den Nationalismus.
Dunkle Haut und Deutsch?
Für die meisten ist das nicht normal-
also fragt man nach, woher die Person ist,
obwohl sie schwäbelt und ihr ganzes Leben in Baden-Württemberg verbracht hat.
Trotz Globalisierung, der verändernden Lebensstile denken die meisten Menschen immer noch in alten Strukturen.
Es werden klare Trennungen zwischen Abstammung, Kulturen und Nationen gemacht.
Bis zum Jahr 2000 galt in Deutschland beim Staatsangehörigkeitsrecht das Abstammungsprinzip.
War ein Elternteil deutsch, so wurde ein Kind mit der Geburt deutsch.
War kein Elternteil deutsch, so war man es eben nicht.
Und das ist vielleicht der Grund, warum einige Menschen, die in diesem Land geboren werden,
immer noch nicht als „deutsch“ betrachtet werden.
Wie wir mittlerweile jedoch alle wissen, wird Kultur durch die Sozialisation vermittelt.
Kultur ist nicht in unserer DNA, nicht in unseren Genen.
Das heißt, man kann eine „perfekte kulturelle Deutsche“ sein und trotzdem dunkle Haut haben.
Viele Menschen, die die „Woher kommst du-Frage“ stellen, sind sich dessen vielleicht nicht bewusst.
Wie bereits gesagt, sie denken in alten Strukturen.
Die Aufgabe ist es, sie langsam daran zu gewöhnen und ihnen zu vermitteln, dass sich Dinge ändern.
Dass nun „Fusionen“ normal werden.
Fusion in der Musik und im Essen sind normal geworden, werden akzeptiert und gelten als innovativ.
Fusionen bei Menschen… das braucht wahrscheinlich noch ein paar Jahre, bis es auch in den Köpfen der Menschen angekommen ist.
Das Problem nur bei Transkultis?
Es kämpfen auch andere Menschen, die nur eine Nationalität haben, mit dieser Frage.
Ich hatte mal eine israelische Arbeitskollegin, die diese Frage regelrecht gehasst hat.
Sie meinte, dass ihre Antwort Menschen nie gleichgültig lasse.
Es führe immer zu starken Reaktionen oder zu politischen Diskussionen.
Oft mit unschönem Ausgang.
Und so habe sie beschlossen diese Frage zu vermeiden und nicht zu beantworten.
Sobald ein Land oder eine Kultur in einem anderen Land eine negative Konnotation hat,
dann ist mit negativen Reaktionen zu rechnen.
Oft nehmen sich die „Fragenden“ das Recht heraus, den anderen zu bewerten.
Das Land zu kritisieren und insbesondere die Politik.
Sie lassen sich von Stereotypen leiten, von Nachrichten, die sie aus den Medien haben.
Und leider zeigen sie sehr oft kein Interesse dafür ein anderes Bild zu akzeptieren.
Menschen tendieren zu verallgemeinern und polarisieren gerne.
Die Reaktion meiner Kollegin ist eine Lösung, für die ich vollstes Verständnis habe.
Wie beantwortet man diese Frage jetzt?
Bloß nicht aggressiv!
In meinem Video „woher kommst du?“ spreche ich darüber, dass wir wie ein Puzzle sind.
Ein Puzzle zusammengesetzt aus den verschiedenen kulturellen Erfahrungen,
die wir in unserem Leben gemacht haben.
Könnte das eine angemessene Antwort sein?