Stell Dir vor:
Du bist auf einer Party.
Du beginnst eine Unterhaltung mit einer Person, die sehr sympathisch aussieht.
Nach ein paar Sätzen, fragt sie Dich?
„Welchen Orten fühlst Du Dich verbunden?“
So eine Frage, hast Du noch nie gestellt bekommen.
Normalerweise bekommt man nur diese eine Frage gestellt:
Woher kommst du?
Du überlegst also ein bisschen.
Und dann antwortest du:
Berlin, Mailand, Izmir und Warschau.
Berlin: Weil Du in dieser Stadt aufgewachsen bist und schon immer gelebt hast.
Mailand: Weil Du ein Jahr Erasmus in Mailand gemacht hast und so viele wunderbare Freundschaften schließen konntest sowie unglaubliche Erfahrungen gemacht hast.
Izmir: Deine Eltern kommen aus dieser Stadt und Du verbringst Deine Sommerferien immer dort.
Du hast ähnliche Rituale wie die Menschen dort.
Warschau: Du hast 3 Jahre in dieser Stadt gelebt und gearbeitet. Dort war Deine erste richtige Berufserfahrung.
Sagt diese Antwort nicht viel mehr über Dich aus,
als ein einfaches Wort, dass Deinen „Ursprung“ definiert?
Das Thema verschiedene Kulturen in sich zu tragen ist ein Thema, das viele Menschen betrifft.
Nicht nur uns.
Und viele Menschen haben ihre eigenen Vorstellungen darüber.
Viele versuchen ihre Sicht der Dinge vorzustellen und zu erklären.
Und leider müssen sie sich oft der „Mainstream-Meinung“ anpassen.
Wenn man ein Künstler oder Musiker ist, dann ist es eine andere Sache.
In der Kunst und in der Musik ist Transkulturalität mehr oder weniger akzeptiert.
Zahlreiche Musiker und Künstler verarbeiten ihre Kulturenzugehörigkeiten in ihrer Kunst.
Sie vermischen die Stile und das finden alle toll!
Das finden alle innovativ!
Es ist einfach normal geworden.
Aber, beim „normalen“ Menschen, bleibt es immer noch komisch.
Wie kann man seine verschiedenen Kulturenzugehörigkeiten mischen?
Welchen Orten fühlst Du Dich verbunden?“
Diese Idee, diese Frage zu stellen: „Welchen Orten fühlst Du Dich verbunden?“
kommt von der Schrifstellerin Taye Selasi.
Ihre Gedanken zu diesem Thema hat sie in einem „TED-Talk“ festgehalten.
Diese Rede „Don’t ask where I’m from, ask where I am local!“ kannst Du hier sehen.
Wenn Du Englisch gut verstehst, dann schaue Dir diese Rede unbedingt an.
Es gibt deutsche Untertitel und eine Transkription.
Sie ist wunderbar inspirierend.
Nach Jahren der Suche fällt, in einem Gespräch mit dem irischen Schriftsteller Colum McCann, der sagt:
„Alle Erfahrung ist lokal“,
bei Taye Selasi der Groschen:
Sie gehört keiner Nation an.
Ihr wird bewusst, dass sie einem Ort und zugleich mehreren anderen Orten verbunden ist.
Dass sie aus den USA stammt, ist nicht richtig, denn die einzigen Orte zu denen sie eine Beziehung in den USA hat,
sind Brooklyn, New York und Lawrenceville.
Sie ist jedes Jahr in Accra (Ghana), wo sie ihre Mutter, die in England geboren und in Nigeria aufgewachsen ist, besucht,
und stundenlang mit ihrem Vater spricht, der in Ghana aufwuchs und sehr lange in Saudi-Arabien lebte.
Sie selber lebt heute in Rom und in New York.
Sie sagt, dass ihre Erfahrung ihre Herkunft bestimmt.
Die drei Rs – eine kleine Aufgabe für Dich!
Was ist also Deine Antwort auf die Frage: Welchen Orten fühlst Du Dich verbunden?
Uns Zuhörern schlägt Taye Selasi einen dreistufigen Test vor: die drei Rs.
Hast Du ein Blatt Papier und einen Stift bereit?
Mach 3 Spalten mit den Titelüberschriften:
- Rituale
- Relationen (Beziehungen)
- Restriktionen (Einschränkungen)
Beantworte die Fragen zu jedem Punkt.
- Rituale: Welche sind Deine täglichen Rituale? Welche Art von Rituale sind das? Wo finden sie statt?
Rituale nach dem Aufstehen?
Wie kochst du?
Wie gehst du zur Arbeit?
Trinkst du einen täglichen Kaffee in der Bar um die Ecke?
Wie meditierst oder betest Du?
In welchen Städten und Stadtvierteln kennt man dich?
Taye Selasi spricht, zum Beispiel, von ihrer Kindheit in Brooklyn, und ihre typischen Brooklyn Rituale in der Stadt.
Sie spricht aber auch von den Traditionen ihrer Mutter aus England und Nigeria, die sie zuhause lebten.
- Welche Menschen bestimmen Deinen Alltag?
Mit welchen Menschen hast Du eine emotionale Beziehung und kommunizierst regelmäßig?
Wen siehst Du jede Woche und mit wem telefonierst Du?
Tayse Selasi spricht von ihrer Mutter in Accra, ihrer Schwester und ihren Freunden aus New York.
- Tayse zieht folgende Schlussfolgerung, dass man sich den Orten verbunden fühlt, wo wir Rituale und Beziehungen leben.
Wie man sich dort allerdings fühlt, hängt auch von Einschränkungen ab.
Hat man einen Pass, um dort zu leben? Eine Aufenthaltsgenehmigung?
Gibt es einen Krieg, der uns dazu bewogen hat wegzuziehen?
Ist man mit der Regierung einverstanden?
Ist man dort in Lebensgefahr?
Warum bist Du nicht dort?
Aufgaben erfüllt?
Wie sehen also Deine Erfahrungen nach dieser Übung, nach diesem kleinen Text aus?
Interessant, nicht wahr?
Interessant, wie der lokale Kontext an Bedeutung gewinnt.
Im letzten Satz ihrer Rede, gibt Tayse ein Beispiel, wie sie gerne vorgestellt werden möchte.
Es ist „innovativ“ und vielleicht hast Du Lust es auch mal auszuprobieren.
Ihrem Beispiel folgend, würde es bei mir ungefähr so aussehen:
„Rayane ist keine Weltbürgerin, sondern eine Bürgerin von Welten. Sie ist in Algier, Berlin, Barcelona, Kreis Konstanz, Bonn und Quevedo zuhause.“
Ich finde es fantastisch! ????
Schreib mir: Welchen Orten fühlst Du Dich verbunden?
Und wie würde man Dich vorstellen?
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